Nach dem Amoklauf von Sebastian B in Emsdetten an seiner ehemaligen Schule hallt nun wieder massiv der Ruf nach dem Verbot von Killerspielen durch Deutschland. Allen voran Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann und natürlich, wie sollte es auch anders sein, Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm:
Nach dem verheerenden Amoklauf von Emsdetten darf es keine Ausreden und Ausflüchte mehr geben. Killerspiele gehören in Deutschland verboten. Sie animieren Jugendliche, andere Menschen zu töten. (Edmund Stoiber)
Killerspiele leisten einen verhängnisvollen Beitrag zur leider wachsenden Gewaltbereitschaft und fördern aggressives Verhalten. (Jörg Schönbohm)
Schnell ist die Ursache, die Wurzel des Übels gefunden und eine scheinbar logische Lösung wird präsentiert. Doch leider sind diese Behauptungen einfach nur falsch! Experten sind sich einig: Kein Spiel macht ein Kind zum Mörder. Denn es gibt bislang keine wissenschaftlichen Nachweis, dass Gewalt am Bildschirm in direkten Zusammenhang mit realer Gewalt gebracht werden kann. Dies erklärt sowohl Dr. Helga Teunert, wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Medienpädagogik in Forschung und Praxis, im Deutschlandradio wie auch der Kommunikationswissenschaftler Jörg Müller-Lietzkow von der Universität Jena, der unter anderem Grundlagenforschung zu Computer- und Videospielen betreibt (Spiegel Online)
Mit der Diskussion um das Verbot von Killerspielen werden leider die wirklichen Ursachen, die zu solchen Tragödien führen, unter den Tisch gekehrt. Der Abschiedsbrief Ich will R.A.C.H.E. von Sebastian B. ist hierbei eine wichtige Lektüre, denn er zeigt die Verzweiflung des jungen Mannes und sein persönliches Gefühl der gesellschaftlichen Isolation, der Perspektivlosigkeit, das nicht wenige Jugendlich heute haben. Leider wurde dieser Abschiedsbrief schnell aus dem Web durch die Polizei NRW gelöscht (Zensur ?), denn er zeigt deutlich auf, dass die Ursache nicht in Killerspielen liegt, wie es uns die oben genannten populistischen Politiker wahr machen wollen. Der Brief steht aber noch im Internet! Er kann auf Telepolis in voller Länge nachgelesen werden. Und das sollte man auch machen, bevor man Scheindebatten um die Symptome führt.
Darüber hinaus darf man auch folgende Punkte nicht vergessen:
- Sebastian B. war 18 Jahre alt! Das Verbot hätte ihn gar nicht mehr erreicht!
- Die betroffenen jugendlichen Spieler dürfen nicht wählen. Somit muss sich ein Politiker, der nicht langfristig und strategisch plant, keine Gedanken über deren Verhalten bei der nächsten Wahl machen!
- Was nützt ein Verbot, wenn man ausserhalb von Deutschland ohne Probleme an diese Spiele herankommen kann und viele Eltern ihren Erziehunsgauftrag zu wenig oder gar nicht mehr erfüllen? Natürlich kann dann bei – was hoffentlich nie vorkommt – erneuten Tragödien dieser Art den Schwarzen Peter ins Ausland schieben und weiter so tun, als hätte man eine intelligente Lösung gefunden.
- Bereits in den 60er und 80er Jahren gab es leider Amokläufe, aber noch keine Killerspiele. Wie passt das in das obrige Bild unserer Volksvertreter, die nicht mehr in der Lage scheinen, komplexere Lösungsstrukturen überhaupt verstehen zu können?
- Deutschland befindet sich im OECD-Vergleich auf dem vorletzten Platz – vor Malta – in Bezug auf das Verhältnis von Schulpsychologen zu Schülern. In Deutschland kommt auf 12.500 Schüler nur ein Psychologe. In Skandinavien liegt das Verhältnis bei etwa 1000:1.
- Seit März 2005 hat sich Sebastian B laut einem Artikel auf Welt.de auf einer Auktions-Website für Jäger, Schützen und Angler mit Waffen versorgt. Ihm standen die hierfür notwendige Munition und sogar Sprengstoff zur Verfügung! Dies wurde alles in seinem Zimmer gefunden. Wie kann es sein, dass ein Jugendlicher an solche Waffen und Materialien kommt. Hier sehe ich viel eher die Politik in der Verantwortung, etwas zu tun.
- Das Medium, das am stärksten Gewalt verbreitet, ist das Fernsehen! Wo sind hier die Verbotsforderungen?
Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) fordert zurecht nach einer Ursachensuche und Bestandsaufnahme. Aber dazu kommt es durch die laufende Berichterstattung und die derzeit geführten Diskussionen nicht. Viel schlimmer noch: die Politiker stellen sogar Forderungen auf, die schon längst erfüllt sind. Uwe Schünemann will zum Beispiel Spiele verbieten lassen, in denen man Frauen verstümmeln kann. Solche Spiele sind in Deutschland schon längst verboten. Es wird auch gefordert, dass die Selbstkontrolle der Industrie abgeschafft wird. Hierfür sind aber bereits die Obersten Landesjugendbehörden der Länder zuständig! Das beweist noch mehr, dass Populismus derzeit wieder Selbstzweck erlangt hat. Damit können aber solche Tragödien wie in Littleton, Erfurt und Emsdetten nicht verhindert werden. Nicht alle Politiker denken so, die meisten wissen, was die wirklichen Ursachen sind: die Isolation einzelner Jugendlicher, die soziale Verwahrlosung an den Schulen, die mangelnde Betreuung auffälliger Minderjähriger. Aber es gibt leider immer noch zuviele Politiker, die sich selbst belügen, mit ihren Verbotsforderungen etwas sinnvolles getan zu haben. Aber ich befürchte, sie wissen gar nicht, dass sie sich belügen. Denn dazu gehört Einsicht …..